Literatur - kommentierte Auswahl
Hier sind nur solche Titel aufgeführt, die in der Universitätsbibliothek Oldenburg vorhanden sind. Eine Garantie, dass die Links auf Originalquellen (die aus dem Jahr 2006 stammen) noch funktionieren, kann selbstverständlich nicht übernommen werden.
Zur kompletten (unkommentierten) Literaturliste!
Apfeld, Wiltrud (Hg.): Klezmer - hejmisch und hip. Musik als kulturelle Ausdrucksform im Wandel der Zeit. Klartext, Essen 2004.
Dieser Ausstellungskatalog ist ein großartiges Bilderbuch zum kompletten Themenkreis. Bei der Lektüre erhält man einen Geschwindkurs in Sachen "Klezmer". Die Texte sind von einem Wissenschaftler-Team "abgesichert", wenn auch an einigen Stellen durchaus parteilich. Die einleitenden wissenschaftlichen Artikel u.a. von Baumann wiederholen weitgehend bereits Bekanntes. Baumann hebt allerdings auf die aktuelle Debatte um "Transkulturalität" ab. Zum Buch gibt es eine CD, die alle wichtigen Musikbeispiele, die in Wort und Bild dargestellt sind, enthält. Ich versuche, den gesamten Katalog bis April 2015 online zu stellen. Info hier.
Bauer, Susan: Von der Khupe zum Klezkamp. Klezmer-Musik in New York. pi’ra:nha, Berlin 1999 - Onlineausgabe hier!
Diese Magisterarbeit ist in einem ungewöhnlich ansprechenden Format (eines CD-Booklets), ist ja auch bei einem Weltmusik-Plattenverlag erschienen. Die Autorin bringt teils Bekanntes, teils aber gutes Insiderwissen, zum Beispiel zum KlezKamp. Alles sehr engagiert geschrieben und gut lesbar. Die beigefügte CD ist natürlich auch eine optimale Ergänzung. Von allen Gesamtdarstellungen ist dies Buch deshalb so sehr zu empfehlen, weil es komplett (in einzelne Kapitel aufgeteilt) kostenlos online zu haben ist (siehe Link oben).
DUDEN Taschenwörterbuch: Jiddisches Wörterbuch. Bibliografisches Institut, Mannheim.
Es gibt kein standardisiertes "Jiddisch". Dieser Jiddisch-Duden ist ein Versuch, den man durchaus mal ansehen kann, der einem aber auch oft nicht hilft. Beispielsweise pflegen die Amerikaner eine ganz andere Schreibweise und haben andere "Normen". Die Besonderheiten des Amerikanischen sieht man einerseits am "z" für ein stimmhaftes "s" (bei "Klezmer" = "Klesmer"), und am "kh" für das rauhe "ch" (bei "freylekh" = "freilach" oder "frejlach").
Eckstaedt, Aaron: „Klaus mit der Fiedel, Heike mit dem Bass..." Jiddische Musiik in Deutschland. Philo, Berlin/Wien 2003.
Eckstaedt ist einer der wissenschaftlich solidesten deutschen Klezmermusiker und -forscher. Seine Dissertation, die hier als Buch vorliegt, beschäftigt sich aus Sicht eines Insiders mit der Frage, wer Ende des 20. Jahrhunderts in Deutschland professionell Klezmermusik spielt. Heikle Frage wie die nach "Jüdischkeit" werden nicht abstrakt sondern entlang von Biografien diskutiert. Eckstaedt hat intensive Interviews geführt und Recherchen gemacht. Da er selbst lange Zeit aktiver jiddischer Musik-Performer war und zudem ein Akkordeonvirtuose ist, weiß er, wovon er spricht. Heute ist Eckstaedt Leiter des Jüdischen Gymnasiums Berlin. (Magdalena Waligórska 2013 kritisiert Eckstaedts Untersuchung, da er keinen theoretischen Rahmen zur Frage den "Identitätskonstruktion" benutze, um seine Ergebnisse zu interpretieren.)
Eckstaedt, Aaron: Ein Schatz jiddischer Musikfolklore - Die verschollene Sammlungen Moishe Beregovskis in Kiew und Petersburg sowie ihre Wiederentdeckung. In: Musik und Migration in Ostmitteleuropa. München, Oldenbourg 2005. Download hier.
Mosihe Beregovski (1892-1961) ist eine Schlüsselfigur der Klezmerforschung. Die von ihm gesammelten über 1200 Wachswalzen mit O-Ton-Dokumenten sind einmalig und galten bis 1994 als verschollen. Bekannt geworden sind lediglich gewisse theoretische Schriften und Transkiptionen (siehe Slobin bei "Noten kommentiert".). Eckstaedt schildert minutiös den Sachstand, der Züge einer Groteske annimmt. So ist es dem Potsdamer Institut für Jüdische Studien nicht gleungen, Kopien des "Beregovski-Archivs" aus Kiew zu bekommen, desgleichen die Hebrew Universität Jerusalem. Eckstaedt war der leitende Mitarbeiter, der alle Tondokumente aus Russland und der Ukraine, die für Potsdam kopiert werden konnten, systematisch erschließen sollte. Das hoffnungsvolle Projekt ist aus den merkwürdigsten Gründen nicht zu Ende gebracht wrden. Aber, kulturpolitisch hochspannend ist die ganze Anegelegenheit doch. Inzwischen hat Kiew eine "Gesamtausgabe" der Werke Beregovskis herausgebracht (hier nachsehen!).
Gammel, Markus: Migration and Identity in New York's Jewish Downtown Scene. FU, Berlin 1999. Download here (2000).
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der amerikanischen Klezmerszene unter dem Aspekt der Identitätskonstruktion. Dazu hat der Autor zahlreiche Interviews (im Jahre 1999) durchgeführt, die auch ausführlich dargestellt werden. Die Arbeit ist eine brauchbar O-Ton-Primärquelle und sogar vollständig online zu haben.
Grözinger, Karl E. (Hg.): Klesmer, Klassik, jiddisches Lied. Jüdische Musikkultur in Osteuropa. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2004.
Karl Gröziner war der Direktor des Instituts für Jüdische Studien in Potsdam. Im Laufe der 1990er Jahre ist es ihm gelungen mithilfe deutscher Drittmittel in Moskau und Petersburg Musik, die auf Wachsplatten eingespielt war, zu digitalisieren. Es handelte sich dabei um extrem wertvolle Sammlungen, die teils erst nach der Perestroika bekannt und/oder entdeckt worden sind. Teilweise sind es die Tondokumente, von denen es Notentranskriptionen (aber eben nicht das klingende Zeugnis) gab und die im Klezmer-Revival eine große Rolle spielten. Siehe unten Slobin/Beregovski! Kurzum, als das Potsdamer Archiv gerade anfing international Furore zu machenm, wurde eine internationale Tagung abgehalten. Von dieser Tagung zeugt das vorliegende Buch. Auch Oldenburger Student/innen nahmen an der Tagung und den Konzerte/Workshops rund herum teil, da es seinerzeit eine enge Kooperation zwischen dem Potsdamer Institut und dem Oldenburger Musikinstitut gegeben hat. Aaron Eckstaedt war der tonangebende musikwissenschaftliche Mitarbeiter des Archivs (siehe oben bei Eckstaedt). Inzwischen ist der Archivbestand auf Krakau, Jerusalem und Potsdam aufgeteilt, aber nicht befriedigend erfasst, geschweigedenn zugänglich.
Gruber, Ruth Ellen: Virtually Jewish. Reinventing Jewish Culture in Europe, Univ. of California Press, Berkeley 2002. Gruber, Ruth Ellen: Eurpean Jews still chasing an elusive collective identity. In: The American Israelite. 11.6.2012. Download hier.
Ruth Ellen Gruber versteht unter "virtueller jüdischer Kultur" das, was sich in Deutschland abspielt, wo es eine Art Revival jüdischer Kultur und insbesondere der Klezmermusik ohne einen zugehörigen jüdischen "Bodensatz" wie in den USA gab. Man muss dazu bedenken, dass das amerikanische Revival ausschließlich von Jüdinnen und Juden inszeniert worden ist und als ein Versuch, eine "American Jewishness" zu konstruktieren, gesehen wurde. Insofern ist es Amerikaner/innen stets merkwürdig vorgekommen, dass es in Deutschland, wo knapp 50 000 Juden lebten (inzwischen sind es durch die Ost-Migratin doppelt soviele), eine so breite Bewegung zur Revitaliserung jüdischer Kultur gab, dass heute Deutschland weltweit die größte Klezmerszene besitzt. Das Buch enthält ein umfangreiches Kapitel zu Klezmermusik. Übrigens, die in Deutschland lebenden Juden hatten ähnlich wie die in Israel lebenden Juden mit Klezmer eigentlich gar nichts am Hut.
Idelsohn, Abraham Zebi: Jewish Music in its historical Development. Greenwood Press, Westport 1981 (reprint from New York 1929), Kapitel XIX und XX mit Notenbeispielen.
Dies ist einfach ein uralter "Klassiker". Idelsohn ist ein Urvater der Musik des Zionismus, ein guter Wissenschaftler und eben eine historische Figur aus den Zeiten, wo es noch kein Israel, keinen Nahostkonflikt und keinen Holocaust gab. Die Notenbeispiele haben etwas Authentisches.
Lensch, Juliane: Klezmer. Von den Wurzeln in Osteuropa zum musikalischen Patchwork in den USA.Wolke, Hofheim 2010.
Dies ist wohl das aktuellste deutschsprachige Buch über das "Gesamtphänomen" Klezmermusik, eine Dissertation aus Gießen. Man kann dies Buch deshalb mit Gewinn lesen, weil es neuere Begriff wie Transkulturalität, Hybridisierung, Akkulturation, Patchwork usw. in die Literatur über Klezmermusik einführt. Dass die Autorin meint, sie sei die erste, die sozialhistorisch über Klezmermusik schreibt, verwundert dann nicht, wenn man bei der Lektüre bemerkt, dass sie zahlreiche neuere Arbeiten und Bücher zu Klezmermusik gar nicht kennt. Ein besonderer thematischer Schwerpunkt des Buches ist die Auseinandersetzung mit der Frage, ob und wie Klezmer sich mit Jazz vereinigen kann. Ausführlich wird der Jewish Swing analysiert. Das Buch beruht auch wesentlich auf Interviews mit Dozenten des Weimarer Yiddish Culture Summer, die zugleich rennomierte Klezmermusiker sind. Das Revival selbst wird dabei im Spiegel dieser Musikaussagen reflektiert, da das Buch "offiziell" mit der Jewish Swing-Aera endet.
McNeilly, Kevin: "Ugly Beauty: John Zorn and the Politics of Postmodern Music", Postmodern Culture 5.2, 1995. Download here.
Um John Zorn herum hat sich die "Radical Jewish Cullture" gebildet, eine Bewegung, die Jüdischkeit und das zur Schaustellen jüdischer Symbole mit der Avantgarde-Jazzszene verbindet. Das kann durchaus kultig sein, wirkt oft insiderrisch, ist musikalisch aber interessant, weil es quasi eine Gegenbewegung zur doch weitgehend folkloristischen "offiziellen" Klezmerszene ist.
Ottens, Rita & Rubin, Joel: „Klezmer-Forschung in Osteuropa: damals und heute", in: Hausleitner, Mariana & Katz, Monika: Juden und Antisemitismus im östlichen Europa, Berlin 1995, S. 175-193. Download hier.
Mit diesem umfangreichen Aufsatz steigt Rita Ottens mit ihrem Freund Joel Rubin, der von "Brave Old World" nach Berlin gekommen ist, in das deutsche Klezmerrevival ein. Man sieht hier, dass beide bereits kurz nach der Wende/Perestroika die Gelegenheit genutzt haben, vor Ort Forschung zu betreiben. Bereits 1991 hatten Ottens/Rubin bei dem linken Plattenverlag Trikont eine Sammlung früher Klezmer-Aufnahmen (1907-1939) zusammen mit einem sehr umfassenden Booklet heraus gebracht. Dies war wohl neben Giora Feidmans Auftreten der Startschuss des deutschen Revivals, d.h. des Interesses der in den USA geführten Diskussion. Später hat wergo (SCHOTT-Verlag) die CD übernommen und weitere Einspielungen, in denen überwiegend Rubin selbst spielte, herausgebracht. 1999 war mit diesen CD's dann die Grundlage gelegt für das erste deutsche Klezmerbuch:
Ottens, Rita und Joel Rubin: Klezmer-Musik Bärenreiter. dtv, München 1999.
Dies ist bis heute "das" Standardbuch zu Klezmer schlechthin. Es ist parteiisch, aber eben dennoch fundiert. Die zugehörige CD ist ebenfalls empfehlenswert. Außerhalb Deutschlands sind die Titel unter Youtube zu finden, in Deutschland sind sie anfangs 2015 gesperrt worden. Wenn man heute ganz schnell ein Klezmer-Taschenbuch erwerben will, so kann man zu diesem Buch greifen. Selbstverständlich ist das Buch bezüglich Revival und der jüngeren Musikergeneration sehr einseitig, denn Joel Rubin verteidigt sich selbst da als "Authentiker". Als Unterton schwingt im Buch mit, dass "eigentlich" Nicht-Juden die Finger vom wahren Klezmer lassen sollten.
Ottens, Rita und Joel Rubin: Jüdische Musiktraditionen. Bosse-Verlag, Kassel 2001.
Dies Buch ist für die Schule geschrieben und. in einer Reihe "Musikpraxis" heraus gekommen. Gegenüber dem Klezmer-Buch von 1999 wird hier der Bogen weiter gespannt, weil es nun um jüdische Musik als ganzes geht. Das ist sehr gut, weil dadurch "Klezmer" etwas relativiert wird. Gegenüber der wirklichen Musikpraxis von Schüler/innen, die also weder Juden noch Profis sind, ist das Buch resistent, d.h. eine Anleitung zum Musizieren ist das Buch nicht so recht. Insofern stellt es ein Gegenmodell zu meinen Unterrichtsmaterialien dar, die ich seit 2001 auf CD verteile und in deren Zentrum das Musizieren und szenische Interpretieren steht. Nicht von ungefähr haben Ottens/Rubin immer mal wieder in Publikationen gegen mich polemisiert (was durchaus zu recht geschah, wenn man die unterschiedlichen Standpunkte berücksichtigt). Ottens, Rita und Rubin, Joel: The Sound of a Vanishing World. The German Klezmermovement as a Radical Discours. (Vortrag) Wisconsin/Madison 2002. Download hier.
Ottens/Rubin galten eine zeitlang in Deutschland als Schlüsselfiguren für Jüdische Musik. Sie waren auch für einschlägige Festivals verantwortlich. Doch dann gab es viele Reibungen und Intrigen mit der "ortsansäßigen" Klezmerszene, vor allem in Berlin. Dieser Artikel ist eine Art Abrechnung mit dieser Zeit - und ist insofern ein spannendes zeitgeschichtliches Dokument.
Rogovy, Seth: The Essential Klezmer. A Music Lover’s Guide. Algonquin Books of Chapel Hill 2000.
Rogovy ist ein Musikjournalist, also kein unmittelbarer Mitgestalter der Klezmerszene. Daher hat dies "Standardbuch" einen besonderen Status (gegenüber Slobin, Sapoznik, Rubin). man kann das Buch als Nachschlagewerk ("Rough Guide") für die amerikanische Szene lesen, da sehr viele Gruppen übersichtlich portraitiert werden.
Rubin, Joel: Can't you play Anything Jewish? Klezmer-Musik und jüdische Sozialisation im Nachkriegsamerika. Jewish - Jüdische Erfahrungen in den Kulturen Großbritaniens und Nordamerikas nach 1945. Harrasowitz Verlag, Wiesbaden 1988/99. Download hier.
Siehe hierzu mein Kommentar zu Ottens/Rubin. Im vorliegenden Artikel schildert Rubin die angloamerikanische Szene noch bevor er sich ganz auf Deutschland eingelassen hat, als Klezmermusiker des Revivals und Insider.
Rubin, Joel: Im Zentrum eines alten Rituals. Die Klarinette in der Klezmer-Musik. In: Faszination Klarinette, hg. Conny Restle and Heike Fricke. Prestel Verlag/Musikinstrumenten-Museum, München/Berlin 2004, S. 219-230. Download hier.
Rubin "durfte" in Deutschland nicht promovieren, der geeignetste Ort, Potsdam (siehe oben Grözinger) hat sich ihm verschlossen. So hat Rubin seine Dissertation, ein zweibändiges Meisterwerk an Akribie, in Lodon abgelegt. In der Sammlung "Mazeltow!" bei Schott hat er einen Vorgeschmack seiner Gründlichkeit und Hartnäckigkeit gegeben (siehe unter "Noten kommentiert"). Im voriegenden Aufsatz, einer Art Dissertations-Kurzfassung, geht es nun ebenfalls ausführlich um die beiden Opinion Leader der zweiten Klezmergenereation, die Klarinettisten Brandwein und Tarras.
Rubin, Joel: What a Jew means in this time: Naftule Brandwein, Dave Tarras and the shifting aethetics in the contemporary klezmer landscape. Paper auf der Conney Conference on Jewish Art 2007. Download hier.
Nach Georg Winkler kann man das Klezmer-Phänomen in 4 Generationen aufteilen: zunächst die "original" osteuropäischen Klezmorim, dann die emigrierten Klezmorim, die sich dem amerikanischen Markt verschrieben haben, sodann drittens die Revivalgeneration in USA und schließlich viertens die heutigen Klezmermusiker/innen, die sich, wie Rubin feststellt, nun nicht mehr der US-amerikanischen zweiten sondern der osteuropäischen ersten Generation zuwenden oder ganz neue Ideen entwickeln. Das ist natürlich erst nach der Wende/Perestroika möglich gewesen - und hat inzwischen zu einer Neuorientierung ("Weg von Brandwein und Tarras und den amerikanschen LP's") geführt. Rubin stellt einige neuere Trends vor: Radical Jewish Music und Jewish Hop.
Rubin, Joel: Music without Borders in New Gemany: Giora Feidman and the Klezmer-influenced New Old Europe Sound. In: Ethnomusicology Forum, Volume 24, 2/2015, S. 204-229. Kostenloser Download hier!
Dieser Aufsatz steht in einem Samm,elband mit dem Thema "New Old Europe Sound", einer amerikanischen Bezeichnung für die aktuelle Weltmusikszene Europas (bzw. "Nordwesteuropas"). Die These ist, dass "Rumänisches, Gipsy, Balkan und Klezmer" in einen neuen Stil verflossen sind, aber nicht mehr als Aneignung von etwas Fremdem, sondern als eigene Musik empfunden werden, bei der die Quellen nicht mehr bewusst sind. In diesem Kontext analysiert Rubin (der seit vielen Jahren in den USA lebt) die Gestalten Giora Feidman sowie die Feidman-Schüler/innen Eisel, Orlowsky und Gabriely. Bei allen außer Gabriely stellt er fest, dass der jüdische Hintergrund verloren gegangen ist, bei Eisel und Orlowski sogar nicht mehr intendiert ist. Diese weitgehend nachvollziehbaren Analyse-Ergebnisse werden in den Kontext der These vom "New Old Europe Sound" gestellt. - Meine These ist, dass dies Verlorengehen des jüdischen Hintergrundes nicht nur eine individuelle Tat einzelner "erfolgreicher" Klezmer-Musiker ist sondern ein ganz allgemeiner Trend der Szene. Einige Ursachen für diesen Trend nennt auch Rubin, ich ergänze hiermit: (1) dass das bundesdeutsche Holocaustritual den Klezmer-Fans allmählich zum Hals raus hängt, (2) dass Feidmans implizite in Friedensbotschaften gehüllte Propaganda für Israel nachdenklichen Menschen suspekt ist, (3) dass die in Deutschland lebenden 102 000 Juden überwiegend (zu 80%) Russen sind und daher in Klezmer, wenn überhaupt, Heimatklänge aus Russland (kurz: "Russendisko") hören wollen, (4) dass die Klezmermusik vom Konzertpodium auf die Tanzfläche von "Balkan-Nächten" gerutscht ist und damit ihre ursprängliche Funktion zurück erobert hat (z.B. mit Erfolgsbands wie den "Amsterdamern"), (5) dass es keinen Bedarf mehr gibt, Deutschand mit Israel zu versöhnen, nachdem die Bundesregierung dem U-Bootverkauf an Israel zugestimmt hat und im Übrigen immer mehr israelische Bürger nach Deutschland auswandern.
Salmen, Walter: Jüdische Musikanten und Tänzer vom 13. bis 20. Jahrhundert. Edition Helbling, Innsbruck 1991.
Dieser "Klassiker" stammt von einem Musikwissenschaftler, der einfach gar nichts mit dem Klezmermusik-Hype zu tun hat sondern sich dem ganzen Hinterland jüdischer Unterhaltungsmusik widmet. Ein Standardwerk für alle, die Klezmermusik noch weiter zurück als bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verfolgen wollen.
Sapoznik, Henry: Klezmer! Jewish Music from Old World to Our World. Schirmer Books, New York 1999.
Henry Sapozink hat das Plattenarchiv am YIVO (Institute for Jewish Research, New York) geleitet und erschlossen und war eine Schlüsselfigur des Klezmer-Revivals. Seine Notensammlung (siehe unter "Noten kommentiert") war lange Zeit das zentrale Werk für alle Musikgruppen. Bis heute spielen beispielsweise hunderte Musikgruppen [ein Blick auf Youtube genügt!] den "Heyser Bulgar" notengetreu nach der Transkription von Sapoznik/Sokolow, obgleich es von diesem Stück Dutzende von Aufnahmen gibt. Sapoznik hat bis 2014 auch das "KlezKamp" geleitet - gilt sogar als "Erfinder" dieser Einrichtung. Im Gegensatz zu Slobin ist er kein waschechter Musikwissenschaftler, aber eben ein absolut profunder Kenner. Wie gesagt. neben Slobins Buch ist dies "das" Standardwerk aus amerikanischer Feder.
Slobin, Mark (Hg.): Old Jewish Folk Music: The Collected Writings of Moshe Beregovski. Univ. of Pensylvania Press, Philadelphia 1982. - Ders. und Robert Rothstein und Michael Alpert (Hg. und Übersetzung): Jewish Instrumental Folk Music: The Collection and Writings of Moshe Beregovski. Syracuse University Press, Syracus 2001 (ISBN 0-815-0691-5) mit CD.
Moishe Beregovski (siehe oben Eckstaedt) hat tausende Feldaufnahmen in der Ukraine und Russland gemacht, gesammelt, transkribiert und teilweise ausgewertet. Einige seiner Schriften, die in Kopie nach USA gekommen sind, hat Slobin in Übersetzung heraus gebracht. Das Material ist neben den US-amerikanischen Schallplatten der entscheidende Bezugspunkt für die aktuelle, nach Authentizität strebende Musikpraxis der Klezmorim. Einige Tondokumente von Beregovski sind erst nach der Wende/Perestrioka 1994 entdeckt worden - siehe oben Eckstaedt. Inzwischen gibt es 5 CD's, die das Kiewer Institut, dessen Direktor Beregovski gewesen ist, herausgebracht hat (siehe hier).
Slobin, Mark: Fiddler on the Move. Exploring the Klezmer. World Oxford University Press, Oxford 2000.
Eine distanzierte, wissenschaftlich motivierte Auseinandersetzung mit dem Klezmer-Revival, wobei die ganze Vorgeschichte mit einbezogen wird. Dies Buch ist eigentlich das Haupt-Nachschlagewerk zu Klezmer in englischer Sprache.
Stoljar, Zinovij: A Yiddishe Doyne. Jüdische Volksmusik in Osteuropa. Mandelbaum Verlag, Wien 2000.
Dies unscheinbare Buch ist wenig beachtet und enthält doch jenseits des Mainstream Beregovski-YIVO-Revival zahlreiche authentische Transkriptionen und Beschreibungen osteuropäischer Klezmermusik, Schwergewicht Rumänien und angrenzende Gebiete. Stoljar entwickelt auch einige durchaus ungewöhnliche Theorien zur musikalischen Struktur der Melodien und Musikpraxis.
Stroh, Wolfgang Martin: Zur Downloadseite!
Svigals, Alicia: „Why we do this anyway: Klezmer as a Jewish Youth Subculture". In: Judaism 1/1998, S. 43 - 49. Download hier.
Das Interessnate an diesem kurzen Aufsatz aus der Feder einer Revivalistin ist das "Memorandum", das ziemlich genau festhält, was wohl die entscheidenden Motive des Revivals gewesen sind.
Waligórska, Magdalena: Klezmer's Afterlife. An Ethnography of the Jewish Music Revival in Poland and Germany. Oxford University Press, Oxford 2013.
Das Buch beruht auf zahlreichen Interviews, die die polnische Autorin in Polen und Deutschland (Berlin) gemacht hat. Es handelt sich hier um die aktuellste und (neben Ruth Ellen Grubers Buch) intensivste Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Klezmermusik in Polen, beispielsweise im Rahmen des "Holocaust-Tourismus", und innerhalb der nicht-jüdischen deutschen Szene. Sie geht davon aus, dass Klezmermusik auch heute noch "Jewish culture" ist. Hiervon ausgehend verfolgt sie zwei Thesen zur deutschen Klezmermusik: dass (1) die nicht-jüdischen deutschen Klezmorim gerne Juden sein wollten und dass (2) Nichtjuden von Klezmermusik (als "Jewish heritage") aufgrund historischer Schuldgefühle (Stichwort "Holocaust") angezogen würden. - Siehe auch Eckstaedt 2003!
Winkler, Georg: Klezmer. Merkmale, Strukturen und Tendenzen eines musikkulturellen Phänomens. Lang, Frankfurt 2003.
Ich finde, dass dies Buch übersichtlicher als Ottens/Rubin über die Klezmermusik informiert. Ein gewisses Schwergewicht liegt auf der Systematisierung von "Sachwissen" - wobei natürlich vieles etwas vereinfacht dargestellt wird. Zum "Heyser Bulgar" gibt es 12 Transkriptionen, die zeigen, wie mit einer Vorlage in der Klezmer-Praxis gearbeitet wird. Diese Dissertation ist von Otten/Rubin auf 60 Seiten im Jahrbuch für Volkskunde in der Luft zerrissen worden - kein Wunder, denn schließlich steht es direkter Konkurrenz zu deren Buch von 1999! (Download hier)