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Das Oldenburger TechnoMuseum

Ein subjektiver und kollektiver Erfahrungsbericht

„Techno selber machen" und dazu noch zum Schulgebrauch ist sperrig: Erstens ist Techno notwendig laut. Zweitens ist Techno Angelegenheit eines einzelnen DJ’s und nichts für den „Klassenverband". Drittens benötigt guter Techno avancierte Technik. Viertens ist Techno elektronische Musik. Und fünftens ist Techno Tanzmusik, also weder eine Komposition, noch ein Song, noch etwas zum Zuhören. Bezüglich Techno gibt es immer wieder Mißverständnisse, denn: Techno ist textlos und endlos. Techno ist weitgehend improvisierte Musik. Techno ist überwiegend Klangmusik. Techno Komponieren ist Klangdesign. Techno ist live. Techno ist nicht „Knöpfchen-drücken und ab geht die Post". Techno ist elementar, aber nicht einfach. Guten Techno zu machen erfordert Zeitgefühl, einen langen Atem, ein Gespür für richtige Breaks, für Off-Beats, für kraftvolle Grundschläge und schwirrende Hi-Hats.

Das Credo des TechnoMuseums

Bei Techno wird der Computer (in Gestalt von Drumcomputer, Groovebox, Baß-Synthesizer, sonstigem Synthesizer) zum gespielten Musikinstrument. Technik wird zum Thema von Musik. Daß ein Computer Musik macht, wird nicht verschleiert, sondern musikalisch vorgeführt. Techno kann also von einem Musikprogramm wie Cubase oder Logic allenfalls nachgeahmt, nicht jedoch produziert werden. Ein Cubase-Arrangement eines Techno-Titels, wie ich es selbst des öfteren schon publiziert habe (1), verhält sich zu Techno wie die Ansichtspostkarte zur Kanarischen Insel. Die vielen Hits aus den Hitparaden, die wie Techno klingen, sind auch solche klingenden Postkarten von Techno. Was auf dem Tonträgermarkt Techno am nächsten kommt, ist eine Maxi-CD, die mehrere Versionen „desselben" Stücks enthält, d.h. Wiedergaben von Techno-Improvisationen über dasselbe Material. Hier wird wenigstens der improvisatorische Charakter von Techno wie in einem Film eingefangen.

Der drittbeste Techno ist der, der elektronische Klänge in gesampelter Form verwendet, diese Samples (eventuell nun doch in Cubase) live hin und herrückt, durch Effektgeräte schickt und auf einen Computer-Groove legt. Der zweitbeste Techno ist der, der die elektronischen Klänge selbst („realtime") produziert und zum Groove laufen läßt. Dies kann mit virtuellen Synthesizern (oft als Plug-Ins von Sequenzerprogrammen) geschehen. Der beste Techno aber wäre der, der die elektronischen Klänge auf richtigen Instrumenten zu spielen und computergenau in den Groove hineinzupassen in der Lage ist. „Richtige" Instrumente sind dabei echte analoge Synthis wie der „Mini-Moog", der Arp „Odyssey", der EMS-"Synthi A" oder ein „MS" von Korg oder „Juno" von Roland.

Die Idee des TechnoMuseums

Um die Geschichte kurz zu machen: In der Rumpelkammer der Uni Oldenburg stehen in der Tat eine ganze Menge derart alter Instrumente aus den 70er Jahren. Der beste Techno war zum Greifen nahe. Jedoch, wie bekommen natürliche Wesen wie MusikstudentInnen oder SchülerInnen die live gespielten Analogsounds computergenau auf den Groove? Wie kann das echte Techno-Feeling entstehen - selbst bei schnellem Tempo und vertrackten Rhythmen? Und wie können wir alle zusammen musizieren, gleichsam im „ersten improvisierenden Synthi-Groove-Orchester" der Welt?

Antwort: Man kauft sich bei der Bastlerfirma Doepfer in München ein Gerät, das Mididaten in Steuerspannungen für Analogsynthis umrechnet, komponiert die vertracktesten Rhythmen für jeden einzelnen Analogsynthi auf Midi-Basis (in Cubase oder Logic) und „führt" diese „Midi-Komposition" von einem Drumcomputer aus mit dem angesagten Groove ab. Anders herum: beim Start des Drumcomputers beginnt der Midi-Sequenzer zu laufen, schickt die zuvor komponierten Midi-Daten an das Doepfergerät, von wo aus jeder der 12 Analogsynthis seine ge-groovten Steuerspannungen bekommt.

Die SpielerInnen an den Analogsynthis können mit dieser Steuerspannung recht unterschiedliche Dinge anstellen. Sie können sie vernachlässigen und einfach ganz frei spielen. Ohne Groove, versteht sich. Sie können die Steuerspannungen verwenden, um einem selbst komponierten und modulierten Klang den richtigen Rhythmus zu verpassen. Dies ist der Normalfall. Sie können die Steuerspannungen aber auch verwenden, um Klänge (zum Beispiel Filtereinstellungen oder schlicht Tonhöhen) im korrekten Rhythmus zu variieren. Stets jedoch befindet sich das Synthi-Orchester am Tropf des Rhythmuscomputers und sind die Synthis nach der zuvor ausgedachten Midi-Komposition aufeinander abgestimmt.

Dies ist die Grundidee des TechnoMuseums.

Die Didaktik des TechnoMuseums

Das TechnoMuseum hat sich in der Lehrerausbildung entwickelt als Motivationsspritze für den Unterricht in elektronischem Klangdesign. In den 80er Jahren genügte es, Klangdesign zu lehren und gemeinsam auf improvisatorischer New Age- oder Avantgarde-Basis zu spielen. In den 90er Jahren wurde ein solches Verfahren von den Studierenden nicht mehr akzeptiert. Wo bleibt die Musik? war eine häufige Frage. Elektronische Musik hat, so der Zeitgeist, zu allererst einen Groove. Und erst wenn es diesen Groove gibt oder dieser Groove angestrebt und irgendwann erreicht wird, kann man auch frei spielen, Klangflächen bauen oder Chaos-Klänge in die Welt setzen. Alles andere wäre blutleere Avantgarde, aber keine Musik.

Schritt 1: Das TechnoMuseum spielt ganz ohne SpielerInnen bei geeigneter Einstellung auch einfach vor sich hin. Die rhythmischen Impulse können recht komplex sein, aber alles ist zunächst statisch. Jeder Griff nach einem relevanten Knopf eines Analogsynthis verändert dies statische Muster aus der Sicht einer Klangfarbe und desjenigen, der den Knopf bedient. Häufig entsteht eine rhythmische Kippfigur wie in der minimal music. Hier nun mal eine 8-Taktperiode sinnvoll mit einer Klangwandlung zu fällen, das ist (erfahrungsgemäß) schon eine ganz schwierige musikalische Aufgabe, bei deren Lösung gut und schlecht sofort zu erkennen sind. Die Schwierigkeit liegt ganz am Gehör, nicht an der Technik oder Spielfetigkeit. Als nächster Schritt kommt - immer noch mit demselben elementaren technischen Ein-Knopf-Prinzip - das Aufeinanderhören. Und dann kommen Tutti-Solo-Spiele in unterschiedlich langen Perioden.

Schritt 2: Im Folgenden gibt es zwei Arbeitsrichtungen. Die eine ist die der weiter gehenden Eroberung der Möglichkeiten, am jeweiligen Analogsynthi Klänge zu erzeugen und zu modulieren. Die andere ist die des „Komponierens" von Rhythmusimpulsen (der Steuerspannungen) und letztendlich des gesamten Spielkonzept. Die Arbeit in beiden Richtungen ist reizvoll und kann sich über viele Wochen hinziehen. In beiden Richtungen können die Mittel immer weiter verfeinert werden. Allerdings wird immer wieder bemerkt, dass extrem einfache Klänge, Rhythmen und Konzepte am wirkungsvollsten sind und am meisten Spielraum für Improvisation und spontane Ideen enthalten.

Bei der Arbeit im TechnoMuseum lernen die StudentInnen also nicht nur, wie ein Analogsynthi funktioniert und bedient wird und wie man reizvolle Spielkonzepte für elektronische Klänge entwickelt, sondern auch, wie man zusammen auf Synthesizern musizieren und eigene musikalische Klangideen in Relation zum Groove eines Drumcomputers setzen kann. Das TechnoMuseum ist daher ein vieldimensionaler Lernort.

Schritt 3: Es ist im Laufe der vier Jahre, in denen ich mit dem TechnoMuseum arbeite, noch nie vorgekommen, dass es beim Lernort stehen geblieben ist. Das TechnoMuseum drängt nach außen, zum Publikum, zur Tanzfläche, zum Rave-Konzert. Dabei kommt eine weitere Eigenschaft des Museums zum Tragen: die Instrumente können in einem großen Kreis im Raum aufgestellt werden, sodaß sich die Tanzfläche im Innern befindet. Dadurch entsteht ein einmaliger realer Raumklang. Als I-Tüpfelchen kann jeder Synthi mit einer Lampe oder einem ausgestattet werden, die oder das rhythmisch blinkt. So gesellt sich zum Raumklang noch das Raumlicht und komplementär dazu die Raumschattenbewegung der Tanzenden an den Wänden.

Erwartungen an Köln 2000

Als ich Anfang 1999 dem Veranstalter des AfS-Kongresses 2000 das TechnoMuseum als Dauerinstallation anbot, ging mir folgendes im Kopf herum:

Zum Thema „Musik und Medien" gehört ja sicherlich auch die Frage, ob und gegebenenfalls wie Menschen auf Computern musizieren, ja improvisieren können. Also sollte eigentlich das TechnoMuseum als Modell eines Gruppenmusizierens auf der Basis avancierter Computertechnik hoch interessant sein.

MusiklehrerInnen haben wahrscheinlich ein professionelles Interesse an der Musikgattung Techno. Zugleich ist ihnen, wenn sie nicht „auf jung" spielen und einen Rave besuchen wollen, der Zugang zu dieser Art elektronischer Tanzmusik erschwert. Das TechnoMuseum hingegen kann von Erwachsenen erlebt und bedient werden, vermittelt eine gute Ahnung von Techno, ohne dass man ein Rollenspiel vollführen müßte.

Mit 3 Studentinnen und 5 Studenten bereitete ich in den Semesterferien den Kölner Auftritt vor. Auch die StudentInnen hatten ihre Erwartungen. Sie brachte diese zu Papier:

Für die StudentInnen war die Kölner Installation des TechnoMuseums ein interaktiver Kongreßbesuch und eine experimentelle Begegnung mit dem zukünftigen KollegInnenkreis.

Das TechnoMuseum in Köln 2000

Im Juli 2000 suchte ich in allen Räumen der Kölner Musikhochschule nach einem geeigneten Raum. Die Nutzung des hintersten Teils der Tiefgarage, den ich auserwählt hatte, wurde mir leider von der Feuerwehr untersagt. So landeten wir in einem schönen, jedoch vollkommen „schalloffenen" und daher musikalisch ungeeigneten Garderobenraum des Kellers.

Dadurch war das Hauptkonfliktpotential des TechnoMuseums vorprogrammiert: Im Laufe des Kongresses haben wir uns weit mehr als Störenfriede, denn als Freudenbringer betätigt. Man kann dies Faktum zwar auch als Wesensemelemt von Techno ansehen. Aber ich denke, es war eben doch eher ein systembedingter Planungsnotstand: weder verfügt eine moderne Musikhochschule über geeignete Räume, noch erahnt ein Kongreßveranstalter, welches Unheil er mit „realtime-Techno" heraufbeschwört. Die Feuerpolizei beschäftigte uns mit Auflagen, Eingaben und Verbotsdrohungen jeden Tag aufs Neue. Das TechnoMuseum störte offensichtlich nicht nur den Frieden, sondern auch die Sicherheit der KongreßteilnehmerInnen.

Die Bezeichnung „TechnoMuseum", in Oldenburg stets mit dem gewissen Schmunzeln aufgenommen, wurde kräftig mißverstanden. Wir saßen bzw. spielten zwischen den Stühlen des Kurs- und Beiprogramms, ähnelten eher einem Verkaufsstand, der keine Ware anzubieten hatte. Die paar Dutzend Menschen, die sich auf einen Schnupperkurs oder Workshop im TechnoMuseum einliessen, machten, sofern sie der Lautstärke standhielten, teilweise allerdings ganz unerwartete Erfahrungen. Es gab MusiklehrerInnen, die zu Freaks und Spielern permutierten und in denen geradezu Glücksgefühle aufzukommen schienen. Die Oldenburger StudentInnen äußerten sich i m nachhinein zu ihren Erfgahrungen folgendermaßen:

Kann ich das in der Schule gebrauchen?

Während der Vorführung des TechnoMuseums in Köln blieb die bange Frage nicht aus: „Kann ich das denn in der Schule gebrauchen?" Ich gestehe, daß ich im Schock auf diese unerwartete Frage häufig mit gewundenen Worten auf einen jüngst erschienenen Artikel über Virtuelle Synthesizer verwies (2), wo ich mein Plädoyer für ein improvisierendes Synthesizer-Schulorchester begründete. Aber, um ehrlich zu sein, ohne Schock hätte ich frei heraus sagen sollen: „Nein! Das kann man nicht in der Schule gebrauchen!" Weder gibt es dort 12 Analoginstrumente, noch entsprechende Räume, noch die viele Zeit, die solche Projekte in Anspruch nehmen.

Oder doch? Das TechnoMuseum vermittelt eine Elementarerfahrung von Klang, Raum, Rhythmus und Licht. Diese Elementarerfahrung ist die bewußtseinsverändernde Essenz von Techno. Sie hat aber im Gegensatz zum Standard-Rave eine künstlerische und experimentelle Komponente. Sie ist so angelegt, dass sich Profi-MusikerInnen nicht zu schämen oder zu langweilen brauchen. Sie ist also doch durch und durch didaktisch. Und das TechnoMuseum steht vor allem für die „Projektidee" und für Lernen am Experiment. Vielleicht hat ja jemand an seiner Schule 12 Commodore 64’s oder Atari ST’s. Hieraus ließe sich ein erfolgreiches Nostalgie-Klangprojekt zimmern. Es geht auch mit Kontaktmikrofonen und einigen ausgedienten Effektgeräten.

Kurzum, das Prinzip, die Idee, die hinter dem TechnoMuseum steht, ist durch und durch schulrelevant. Die konkrete Ausformung hängt von den vielen Zufälligkeiten des Lebens ab: ob und welche Instrumente man hat, welche Räume es gibt, wieviel Zeit man investieren möchte, wann welcher Funke auf wen überspringt - Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen, Eltern, Schulleiter, Hausmeister. Das vorliegende TechnoMuseum ist in dieser Hinsicht ein typisches Produkt der Oldenburger Musiklehrerausbildung, die 1974 mit einem Schwerpunkt in „Apparativer Musikpraxis" begann und seinerzeit eine ganze Reihe wertvoller Synthesizer anschaffte, die noch heute funktionstüchtig sind. Aber, vielleicht hat ja doch der eine oder die andere noch etwas aus der Vorzeit an Ideen, Geräten und Nerven übrig, als es noch keine Schulen am Netz, noch keine Medieneuphorie und noch keine Lehrerfortbildung in Computerbedienung gab sondern einfach Spielfreude, Experimentierlust und Improvisation.

Fußnoten

(1) In: Die Grünen Hefte 40, Juni 1994, S. 29-38; Die Grünen Hefte 42, 2/1995, S. 10-13; Praxis des Musikunterrichts 46, 5/1996, S. 33-37.
(2) Wolfgang Martin Stroh: Virtuell-analoge Synthesizer. Ein Workshop zu ihrem Einsatz in der Schule. In: Praxis des Musikunterrichts 61, 2/2000, S. 40-48.

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