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Kompositionstechniken in der Kunstmusik des 20. Jahrhunderts

Was heißt „Tonalität"?

 
  • Melodik: Zentral- oder Bezugstonton,
  • Akkordaufbau in Terzen (eventuell Quarten) mit klarem Grundton,
  • Verhältnis der Stimmen zueinander nach klassischem oder funktionalem Kontrapunkt,
  • Akkordfortschreitung nach einer „Funktionsharmonik" (z.B. T-S-D-T oder II-V-I),
  • „Abweichungen" (Dissonanzen) werden „aufgelöst",
  • die für die Tonalität konstituierenden Elemente werden auch rhythmisch-metrisch hervorgehoben („formbildende Tendenzen der Harmonie").

 Was kann Atonalität" heißen?

  • alle der angeführten Kriterien sind bewußt vermieden und nicht (oder nur aus Versehen) vorhanden,
  • die angeführten Kriterien sind für den Hörer nicht erkennbar,
  • die angeführten Kriterien sind nur noch teilweise erfüllt,
  • die angeführten Kriterien sind unwichtig,
  • die angeführten Kriterien werden pietätlos behandelt oder durcheinander gebracht,
  • die angeführten Kriterien werden modifiziert.

Was ist „freie Atonalität"?

Eine der angeführten Arten von „Atonalität", bei der auch keinerlei Ersatz-Systeme wirksam oder erkennbar sind. Wirksam können sein :
  • traditionelle Reste im Unterbewußtsein (von Komponist und Hörer),
  • die Freude an der absoluten Negation,
  • ein neues „System", das vor-bewußt wirkt und weder dem Komponisten noch dem Hörer bekannt ist.

 

Zitate zur Bezeichnung „Atonalität"

Für sie gibt es wieder eine neue Richtung und sie nennen sich Atonalisten. Davon muß ich mich jedoch abwenden, denn ich bin Musiker und habe mit Atonalem nichts zu tun. Atonal könnte bloß bezeichnen: etwas, was dem Wesen des Tons durchaus nicht entspricht.

Nur so kann es gelten: Alles, was aus einer Tonreihe hervorgeht, sei es durch das Mittel der direkten Beziehung auf einen einzigen Grundton oder durch kompliziertere Bindungen zusammengefaßt, bildet Tonalität. Daß sich von dieser einzig richtigen Definition kein vernünftiger, dem Wort Atonalität entsprechender Gegensatz bilden läßt, muß einleuchten. (Schönberg in seiner „Harmonielehre", 1911, S. 487-488.)

Diese Bezeichnung „atonal" geschah zweifellos in der Absicht herabzusetzen, so wie dies bei den zur selben Zeit aufgebrachten Worten, wie arhythmisch, amelodisch, asymmetrisch der Fall ist. Während sich aber diese Worte zu einer gelegentlichen Kennzeichnung spezieller Fälle eigneten, wurde die Bezeichnung „atonal" - ich muß sagen leider - zu einem Sammelbegriff für eine Musik, von der man nicht nur Annahme, daß sie keine Bezogenheit zu einem harmonischen Zentrum hat, sondern daß sie auch allen anderen Erfordernissen der Musik, wie Melodik, Rhythmik, formale Gliederung, im kleinen wie im großen nicht entspricht, so daß die Bezeichnung heute eigentlich soviel heißt, wie keine Musik, ja wie Unmusik" (Alban Berg in einem Rundfunkvortrag „Was ist atonal?" 1930).

Tonalität und Atonalität sind also nicht zwei gegensätzliche Prinzipe, vielmehr geht das Prinzip der Atonalität aus der Tonalität hervor. ... dann kann mit Atonalität nur jene Musik sinnvoll bezeichnet werden, die sich bewußt in Beziehung setzt zur traditionellen tonalen Musik, sei es im Sinne einer Weiterentwicklung oder sei es im Sinne einer Negation. Atonale Musik, die als solche nicht im Spannungsfeld zur tonalen Musik und ihrer Tradition angesiedelt ist, wäre also besser nicht als atonal, sondern in einem wertfreien Sinne als nichttonal zu bezeichnen (Elmar Budde im Neuen MGG, 1994).


Analyse einer Passage aus dem 2. Streichquartett von Arnold Schönberg

Propädeutik zum Einfühlen: "Modellmethode" nach der "Studienreihe Musik:  Musik im 20. Jahrhundert"  bei Metzler, Stuttgart 1984, S. 9-52. (Wolfgang Martin Stroh: Arnold Schönberg und das Prinzip "Kunstmusik".)

Die Passage aus dem 2. Satz des 2. Quartetts, Takt 165-182 liegt als Midifile/Noten (atonalitaet.mid) vor.

Analyseaspekte:

Polytonalität (Dur-Moll gleichzeitig) - "falscher" Kanon - "Verbiegung" tonaler Strukturen - entwickelnde Variation - Zitat-Collage-Technik -  Abspaltung von Motiven und atonale Sequenzierung - tonale Melodie als "Zitat" ("alles ist hin!") - extreme Trivialisierung.


Arbeitspblatt zur Analyse:

Aufgaben zu „Polytonalität" und „erweiterter Tonalität"

 

 

Melodiestimme in zwei Tonarten

 

Begleitung in zwei Tonarten

Begleitung und Melodie in unterschiedlichen Tonarten

linien

 

Kontrapunkt ist „falsch"

linien l

Melodie „verliert sich" im Sequenzieren

 

l

 

Dur und Moll vermischt

l

 

 

Sequenzieren nichttonal

l

 


Weitere Analyse: Weberns Orchesterstücke op. 10,1. Satz